Grenzübergreifende Razzia an der Herbertstraße


Bei einer groß angelegten Razzia hat die nordrhein-westfälische Landesregierung zusammen mit der niederländischen Regierung und den Kommunen gegen ausbeuterische Leiharbeitsunternehmen durchgegriffen. Erstmals war auch ein Team des rumänischen Arbeitsschutzes beteiligt.

Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen: „In Nordrhein-Westfalen nehmen wir skrupellosen Unternehmen mit ausbeuterischen Wohn- und Arbeitsverhältnissen die Luft zum Atmen. Mit den Kontrollaktionen gelingt es uns, illegale Strukturen von menschenunwürdiger Unterbringung von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern aufzudecken. Mit dem verschärften Wohnraumstärkungsgesetz ermöglichen wir es Kommunen hart durchzugreifen. Dabei unterstützen wir sie. Die jetzt bereits dritte durchgeführte Kontrollaktion zeigt, dass das konsequente Durchgreifen der Behörden wirkt. Die diesmal festgestellten baurechtlichen Mängel waren nicht so eklatant wie zuvor. Wohnungsaufsichtsrechtliche Missstände bleiben: Matratzenmieten zwischen 300 Euro und 400 Euro, zum Teil starke Vermüllung, Schimmelbildung. Oberstes Ziel ist es, die ausbeuterischen Miet- und Wohnverhältnisse zu beenden und Menschen zu schützen. Dabei arbeiten wir Seite an Seite mit den Niederlanden, erstmals mit dem rumänischen Arbeitsschutz und den betroffenen Kommunen, um gegen diese moderne Form der Sklaverei vorzugehen. Wir dürfen hier nicht nur die Erwachsenen in den Blick haben. Es geht auch um Kinder, die mit ihren Eltern nach Deutschland kommen. Wir lassen nicht locker und bleiben dran.“

Vor Ort trafen die Behörden rund 150 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer niederländischer Leiharbeitsfirmen an. Sie wurden kontrolliert und über ihre Schutzrechte aufgeklärt.

Brandschutzmängel, Schimmel, fehlende Stromversorgung sowie weitere bau- und wohnungsrechtliche Mängel wurden festgestellt. Die Unternehmen haben zudem von den Bewohnerinnen und Bewohnern zu hohe Mieten verlangt, sie abgeschottet, bedroht und sie über ihre Mieterrechte in Unkenntnis gelassen. In den meisten Wohnungen werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer willkürlich ohne sich zu kennen einquartiert. Pro Schlafplatz werden 300 bis 400 Euro als Miete direkt vom Lohn einbehalten.

Dort, wo es einen Anfangsverdacht von Mietwucher und Straftaten gibt, sollen Strafverfahren eingeleitet werden. Des Weiteren wurden Verstöße gegen das niederländische Arbeitsschutzrecht festgestellt.

Die festgestellten Rechtsverstöße sollen ordnungsrechtlich geahndet werden. Eklatante Verstöße gegen das niederländische Arbeitsschutzrecht (Mindestlohn, Arbeitszeiten) werden die niederländischen Behörden zusätzlich ahnden.

Karin van Gennip, niederländische Arbeits- und Sozialministerin: „Wanderarbeitnehmer haben das Recht auf eine gute Unterkunft und einen schönen Arbeitsplatz, genau wie du und ich. Hier, aber auch jenseits der Grenze. Allzu oft werden Wanderarbeitnehmer noch immer als Bürger zweiter Klasse behandelt und leben und arbeiten unter entsetzlichen Bedingungen. Böswillige Arbeitgeber nutzen die Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland, um die Durchsetzung der geltenden Gesetze und Vorschriften zu umgehen. Das ist inakzeptabel. Ich freue mich daher, dass wir gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen gegen den Missbrauch von Arbeitsmigranten vorgehen.“

Im Kreis Borken sind nach Schätzungen insgesamt etwa 2.500 Arbeitsmigrantinnen und -migranten von den ausbeuterischen Strukturen betroffen. Vor allem niederländische Leiharbeitsunternehmen, vorwiegend mit Geschäftsbeziehungen in die fleischverarbeitende Industrie, bauen solche Strukturen auf. Aus den benachbarten Wohnhäusern der oft überbelegten Gebäude wurde von einer Vermüllung der Grundstücke, übergreifendem Ungezieferbefall und massiven Ruhestörungen berichtet.

Dr. Kai Zwicker, Landrat des Kreises Borken: „Die Grenze zwischen dem Kreis Borken und den Niederlanden ist 108 Kilometer lang. Daher arbeiten viele Migrantinnen und Migranten in den Niederlanden, wohnen aber bei uns im Westmünsterland. Dadurch können leichter gesetzliche Regelungen, wie der Mindestlohn in unserem Nachbarland, umgangen werden.“

Rainer Doetkotte, Bürgermeister der Stadt Gronau: „Mit Akteuren auf beiden Seiten der Grenze ist die Aktion sorgfältig geplant und vorbereitet worden. Bestehende Zustände aufgrund der Grenzlage können nicht länger geduldet werden. Die Landesregierung und alle betroffenen Kommunen müssen eine Ausbeutung der Leiharbeitenden rigoros bekämpfen.“

Hintergrund – Grenzübergreifende Zusammenarbeit als wichtiger Schritt zur Bekämpfung von organisierter Ausbeutung:

  • Die grenzübergreifenden Kontrollen gehen auf eine Initiative des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen zurück. Bereits zweimal fanden erfolgreiche Kontrollen im Kreis Kleve im deutsch-niederländischen Grenzgebiet statt: am 12. und 13. Februar 2022 in Geldern und Emmerich und am 8. Mai 2022 in Goch.
  • Die niederländischen Leiharbeitsfirmen nutzen für ihre dubiosen Machenschaften bei der Unterbringung der Arbeitsmigranten die länderspezifischen Gesetze aus. Auf deutscher Seite ist es problematisch für die Behörden, dass sie kaum Informationen über die genaue Anzahl der Arbeitsmigranten in den Unterkünften haben und der Arbeitsort in den Niederlanden liegt. Ein Bundesgesetz verkompliziert die Angelegenheit noch einmal. Denn durch eine Sonderregelung müssen sie sich erst nach drei Monaten beim Einwohnermelderegister anmelden. Doch auch nach Ablauf dieser Frist erfolgt meist keine offizielle Anmeldung.
  • Hinzu kommt noch der Schichtbetrieb in der Fleischindustrie, sodass nicht alle Bewohner in den Unterkünften angetroffen werden können. Die Faktoren erschweren es den nordrhein-westfälischen Behörden, die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen in Gemeinschaftsunterkünften oder der Brandschutzvorschriften, Bauordnungsvorschriften, des Wohnraumstärkungsgesetzes Nordrhein-Westfalen sicherzustellen. Hinzu kommt, dass Betroffene berichtet haben, dass ihnen Lohn nicht vollständig ausbezahlt wurde, in Krankheitsfällen vereinzelt sogar gar nicht. In den Niederlanden sind allerdings Lohnabzüge für Miete und Gesundheitsfürsorge nur bis zu 25 Prozent zulässig und auch nur, wenn den Arbeitnehmern angemessene Wohnbedingungen vom Arbeitgeber geboten werden. Durch die Unterbringung der Arbeitsmigranten und der arbeitsvertraglichen Unterlagen in Deutschland haben die niederländischen Behörden Schwierigkeiten ihre Gesetzesvorschriften zu überprüfen.
  • Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass niederländische Arbeitsverleiher den auf deutscher Seite günstigeren Wohnraum ankaufen oder anmieten, Leiharbeitnehmer aus Südosteuropa in ihren Heimatländern oft mit falschen Versprechungen anwerben und in menschenunwürdigen Unterkünften einquartieren. Daher ist es umso wichtiger, dass die grenzübergreifende Zusammenarbeit in diesem Bereich intensiviert wird.